Angesichts der globalen Covid 19-Pandemie fanden viele Bildungsangebote verstärkt online statt – ein Umstand, der für Pädagog*innen und Teilnehmenden erhebliche Herausforderungen mit sich brachte. In unserem Austausch mit Fachkräften aus den Bereichen Rassismus, Queeres Leben, Queerfeindlichkeit, Antidiskriminierung, Intersektionalität und Empowerment wurde dabei schnell klar, dass digitale Veranstaltungsformate ganz neue Anforderungen daran stellen, Lernräume sicher und stärkend zu gestalten. Aus dieser Beobachtung entstand die Idee, einen auf digitale Veranstaltungen abgestimmten Leitfaden zu erstellen, der es Ihnen und Euch ermöglichen soll, Hürden und Herausforderungen digitaler Veranstaltungen für ein vielfältiges Publikum zu durchdenken und abzubauen.

Dieser Leitfaden basiert auf dem Austausch zwischen pädagogischen Fachkräften aus ganz NRW, der ausging von Beobachtungen zu Verletzungen und Diskriminierungen in verschiedenen Veranstaltungsformaten. Gemeinsam haben wir im Austausch unterschiedliche digitale Veran­staltungsformate daraufhin analysiert, welche Möglichkeiten und welche Schwierigkeiten sie für Teilnehmende mit sich bringen. Wir haben überlegt, wie bisher in Präsenz gestaltete Angebote an neue digitale Formate angepasst werden können und welche Herausforderungen sich daraus ergeben.

So zeigt sich, dass eine der großen Herausforderungen der Pandemie darin besteht, digitale Veranstaltungen für alle Zielgruppen, die mit bewährten Offline-Angeboten erreicht wurden, zugänglich zu machen. Nicht alle Teilnehmenden haben die nötigen Res­sour­cen, um im vollen Umfang an digitalen Veranstaltungen teilnehmen zu können. Sei es das Fehlen eines eigenen Laptops oder Smartphones, eingeschränkter Zugang zu W-LAN oder mobilem Internet oder eingeschränktes Wissen zum Umgang mit den nötigen Endgeräten und Programmen – all das schränkt ein, wer an einer Zoom-Veranstaltung oder einem Instagram-Livestream teilnehmen kann. Außerdem bedeutet die Teilnahme z.B. im familiären Umfeld häufig eine Einschränkung von Safer Spaces, wenn Menschen beispielsweise nicht geoutet sind und in Veranstaltungen mit queeren Themen nicht frei sprechen können. Diese Umstände müssen mitgedacht werden, wenn digitale Veranstaltungen auch und insbesondere queere Teilnehmende of Color erreichen sollen.

Zusätzlich wurde klar, dass auch erprobte Maßnahmen, Veranstaltungen zu einem für alle sicheren Raum zu machen und auf Verletzungen und Grenzüberschreitungen zu reagieren, digital neu gedacht werden müssen. Bestehende Vorkehrungen für analoge Bildungsveranstaltungen lassen sich nicht unverändert auf den virtuellen Raum übertragen.
Mit Hilfe dieses Leitfadens möchten wir Sie als Veranstaltende ermutigen und dabei unterstützen, digitale Veranstaltungen möglichst diskriminierungssensibel vorzubereiten, durchzuführen und nachzubereiten. Bewährt hat sich dafür die Einrichtung eines Awareness-Teams, also ei­ner Auswahl an sensibilisierten Personen, die eine Veranstaltung mit Blick auf ihre Hürden begleiten und im Fall von Diskriminierungen zur Unterstützung der Betroffenen ansprechbar sind. Dieser Leitfaden kann ihnen dabei als Grundlage dienen.
Der Awareness-Leitfaden kann bei je­der Planung erneut genutzt werden, denn keine Veranstaltung gleicht der anderen und es ist nötig, kontinuierlich eine Bestands- und Bedarfserhebung durchzuführen und die in jeder Veran­staltung eine Rolle spielenden Dynamiken sowie Positionen zu reflektieren.


Wir hoffen, dass dieser Leitfaden Sie unterstützen kann!

Awareness = das Bewusstsein
to be aware = sich bewusst sein

Awareness der bewusste Versuch, Diskriminierungen zu erkennen und für Hierarchien innerhalb einer Gruppe bzw. Veranstaltung sensibel zu sein. Dadurch sollen Menschen, welche Verletzungen erleben, in ihrem Umgang mit diesen Erfahrungen unterstützt werden. Ohnmachtsgefühle werden somit durch die Möglichkeit ersetzt, auf Grenzüberschreitungen zu reagieren und eigene Entscheidungen zu treffen. Durch Awareness wird versucht, Veranstaltungen so diskriminierungsarm wie möglich zu gestalten. Es soll eine Atmosphäre erschaffen werden, die es erlaubt, Verantwortungen zu übernehmen und Grenzen zu wahren, sodass sich alle sicher fühlen können.

Durch diese Sicherheit können Teil­nehmende darin bestärkt werden, sich in jeder Veranstaltung frei zu äußern und ihre Bedürfnisse und Gedanken einzubringen. Auf diese Weise können Positionen sichtbar gemacht werden, die in unserer Gesellschaft oft wenig wahrgenommen werden. Deshalb sind Awareness-Konzepte vor allem für Menschen mit Rassismus- und Antisemitismus­erfahrungen und Menschen, welche sich im LSBTIAQ*-Spektrum einordnen, wichtig. Zudem hilft Awareness dabei, sich einen Überblick über (mögliche) Gruppendynamiken innerhalb von Bildungsräumen zu verschaffen und, wo nötig, eigene Schutz- und Austauschräume für be­stimmte Zielgruppen zu schaffen. Dadurch ist es möglich, die Bedürfnisse der Teilnehmenden wahrzunehmen und ihnen zu begegnen. In diesen Prozess können die Teilnehmenden eingebunden werden, indem beispielsweise gemeinsam Gruppenregeln erarbeitet werden.

Gewalt liegt vor, wenn Menschen Schädigungen und/oder Benachteiligungen dadurch erfahren, dass ohne ihr Einverständnis Einfluss auf sie ausgeübt wird. Dies kann individuell von Einzelpersonen ausgehen oder auch strukturell in der Struktur eines Orts oder einer Veran­staltung begründet liegen. Beispiele für strukturelle Ausschlüsse sind etwa, wenn Rollstuhlfahrer*innen ein Gebäude nicht betreten können, da es nur über eine Treppe erreichbar ist. Ein anderes Beispiel für einen strukturellen Ausschluss ist, wenn Menschen eine Veranstaltung nicht besuchen können, weil sie fürchten müssen, bei der Teilnahme fotografiert und fremdgeoutet zu werden.
Awareness setzt es sich zum Ziel, Gewalt, wo immer möglich, wahrzunehmen und idealerweise zu vermeiden. Sie ist eine Frage sowohl der Haltung als auch der Praxis. Auf der Haltungsebene ist es wichtig, sich die eigenen Erfahrungen und Privilegien vor Augen zu führen, um sinnvoll über diskriminierende Strukturen sprechen zu können. In der Praxis wird damit ein Handeln möglich, in der sich alle Beteiligten konstruktiv und kritisch aus ihrer eigenen Positionierung heraus in eine Veranstaltung einbringen.

Hierbei bedarf es einer intersektionalen Analyse, die prozesshaft bzw. dynamisch und nicht statisch ist. Das bedeutet: Awareness ist kein einmalig durchgeführter „Check“, sondern sollte Veranstaltungen und Angebote fortlaufend begleiten. Eine Berücksichtigung von Mehrfachdiskriminierungen ist besonders wichtig, um Ausschlüsse und Barrieren mitzudenken, die Menschen betreffen, die für mehrere ihrer Identitäten/Merkmale Diskriminierung erfahren. Denn häufig machen sie Erfahrungen, die anders und einzigartig sind gegenüber den Erlebnissen, die Menschen mit nur einer dieser Diskriminierungserfahrungen machen.

Eine kritische, intersektionale Analyse kann also als Sensibilisierungsstrategie genutzt werden, um alle Menschen bewusst („aware“) mitzudenken, sodass sich alle sicher und gesehen fühlen können. Dieser Leitfaden konzentriert sich auf die Intersektionen von Rassismus und Queerfeindlichkeit und kann vor allem für Veranstaltungen genutzt werden, welche diese Aspekte miteinbezieht. Die aufgeführten Fragen können und sollen aber auch auf Intersektionen angewendet werden, die andere Diskriminierungsformen betreffen.

Handlungsoptionen

Es ist wichtig, Benachteiligungen und Diskriminierungen sichtbar zu machen und den Betroffenen gleichzeitig Handlungsoptionen aufzuzeigen. Dadurch werden eigene Stärken, Potentiale und Ressourcen erkannt. Es ist besonders wichtig, Betroffenen zu signalisieren, dass sie das Recht haben, ihre Erfahrungen als negativ zu deuten und zu interpretieren und diese ihnen nicht abgesprochen werden.
Zum einen sollte darauf hingewiesen werden, dass Betroffene sich bei Gewalt- und Diskriminierungserfahrungen Unterstützung suchen können und dafür mehrere Möglichkeiten zur Verfügung stehen. Dafür kann das Awareness Team direkt angesprochen werden, um gemeinsam Lösungen zu finden. Alternativ können Betroffene sich bei Unsicherheiten an ver­traute Menschen aus ihrem direkten Umfeld wenden, z.B. Familie oder Freund­*innen. Eine Liste für externe Anlauf- und Beratungsstellen kann außerdem Personen helfen, die erst im Nachhinein Unterstützung mit einem bestimmten Erlebnis suchen. Es ist sinnvoll, eine solche Liste im Vorfeld anzufertigen, damit sie den Teilnehmenden einer Veranstaltung zur Verfügung gestellt werden kann.

Für den Fall, dass Personen sich an das Awareness-Team wenden, sollte außerdem darauf hingewiesen werden, dass ein Gesprächsprotokoll angefertigt wird. Damit wird sichergestellt, dass Be­troffene auch zu einem späteren Zeitpunkt alle wichtigen Aspekte der Erfahrung aufzeigen können. Generell sollten die Mitglieder des Awareness-Teams immer darauf hinweisen, dass von Diskriminierung betroffene Personen verschiedene Handlungsoptionen haben und es ihnen freisteht, zu entscheiden, wie sie mit einer Erfahrung umgehen möchten. Damit werden Betroffene in ihrer Handlungsfähigkeit bestärkt. Teilnehmenden wird deutlich, dass sie dazu fähig sind, Entscheidungen zu treffen und Hand­lungen durchzuführen, zu kommunizieren und Konflikte zu lösen und damit selbstwirksam und selbstbestimmt auftreten können.

Offene und geschlossene Veranstaltungen

Zwischen offenen und geschlossenen digitalen Veranstaltungen gibt es einige Unterschiede, die beim Aufstellen eines Awareness-Konzepts beachtet werden müssen.
Offene Veranstaltungen sprechen alle Interessierten an und können teilweise auch ohne eine Anmeldung besucht werden. Es ist daher besonders schwer, möglichen Verletzungen der Teilnehmenden vorzubeugen. Beispiele für mögliche Übergriffe sind Hasskommentare, Outing ohne Einverständnis oder diskriminierende und verletzende Äußerungen. Awareness-Personen sollten auf diese besondere Situation vorbereitet sein. Da es im digitalen Format häufig einfacher ist, diese Art der Verletzungen durchzuführen, sollte be­reits im Vorfeld bedacht werden, wie mit solchen Situationen umgegangen und auf sie reagiert wird, sofern sie auftreten.

Geschlossene Veranstaltungen sprechen hingegen immer bestimmte Zielgruppen oder auch feste Gruppen an. Um an diesen teilnehmen zu können, ist eine Anmeldung nötig. Innerhalb dieser Ver­anstaltungen kann es zwar auch zu Verletzungen kommen, jedoch ist es hier möglich, bestimmte Aspekte besser abzuschätzen. Zum einen ist häufig klarer, welche Teilnehmenden dabei sein werden und somit auch oft, welche Gefahren potentiell bestehen können. Dadurch, dass es in geschlossenen Räumen häufiger zu einer Vertrauensbildung kommt, fühlen sich Teilnehmende außerdem öfter darin bestärkt, sich bei negativen Erfahrungen zu äußern.

Wie bereits aufgeführt, dienen Awareness-Konzepte dazu, Veranstaltungen möglichst diskriminierungssensibel zu planen und durchzuführen. Im digitalen Format ist es notwendig, bestehende Konzepte neu zu denken, bzw. zu überdenken. Dabei unterscheiden sich die Angebote je nach Zielgruppe, Umfang und Zielsetzung. Aus diesem Grund sollten Awareness-Konzepte je nach Kontext möglichst flexibel umgedacht werden. Folgende Leitfragen sollen bei der Vorbereitung unterstützen. Die Fragen beschäftigen sich mit wichtigen Aspekten der Themen Technik, Awareness-Personen, Teilnehmende sowie Zugängen.

Technik

  • Ist dem Team die verwendete Plattform mit ihren Funktionen bekannt (z.B. Host-Rechte, Warteraum, Stummschaltung etc.)?
  • Gibt es Absprachemöglichkeiten zwischen der Moderation und Awareness-Personen?
  • Gibt es eine Rückzugsmöglichkeit (z.B. ein Breakout-Raum)?
  • Wird ein Warteraum eingerichtet und die Anmeldeliste überprüft?

Awareness-Personen

  • Gibt es Awareness-Personen aus dem eigenen Umfeld, dem Verband, der Institution oder müssen sie angefragt werden?
  • Werden Awareness-Personen sichtbar gekennzeichnet oder bleiben sie neutral?
  • Wie können Awareness-Personen angesprochen werden?
  • Gibt es Aufsichtspersonen für Breakout-Räume?
  • Wird auf Redeanteile und dominierende Verhaltensweisen geachtet?
  • Kann die Moderation mit Diskussionen und schwierigen Situationen umgehen?
  • Werden diskriminierende Aussagen und Handlungen erkannt und auf diese hingewiesen?
  • Wie wird mit Menschen umgegangen, welche Verletzungen/Diskriminierungen erfahren?

Teilnehmende

  • Gibt es eine Anmeldeliste und welche Informationen werden erfragt?
  • Sind Übersetzungen nötig?
  • Werden technische Hilfestellungen, Gruppenregeln, Glossare und Hinweise auf das Hausrecht bei diskriminierendem Verhalten versendet?
  • Werden Gruppenregeln gemeinsam erarbeitet?
  • Gibt es Kontaktmöglichkeiten, falls sich Menschen nach der Veranstaltung melden möchten?

Zugänge

  • Gibt es Ressourcen, um Teilnehmenden ohne Equipment die Teilnahme zu ermöglichen?
  • Ist die verwendete Sprache für alle zugänglich und verständlich sowie geschlechtsneutral?
  • Können Teilnehmende Wunschnamen wählen und werden Pronomen erfragt?
  • Ist die Veranstaltung barrierefrei erreichbar? Sind Aufzüge und/oder Rampen für Rollstuhlfahrende vorhanden?

Anlaufstellen zu den Themen Rassismus und Queerfeindlichkeit

AntiDiskriminierungsBüro (ADB) Köln
c/o Öffentlichkeit gegen Gewalt e.V. (ÖgG)
Berliner Straße 97-99
51063 Köln
0221 964 76 300
info@oegg.de
www.oegg.de

Anti-Rassismus Informations-Centrum
c/o ARIC-NRW e.V.
Hochfeldstr. 42
47053 Duisburg
+49 203 28 48 73
kontakt@aric-nrw.de
www.aric-nrw.de

Fachstelle #MehrAlsQueer
Lindenstraße 20
50674 Köln
0221 / 294 998 51
info@mehralsqueer.de
www.mehralsqueer.de

Fachstelle Queere Jugend NRW
Lindenstraße 20
50674 Köln
0221 / 294 998 50
info@queere-jugendfachstelle.nrw
www.queere-jugend-nrw.de

Queeres Netzwerk NRW e.V.
Lindenstraße 20
50674 Köln
0221 / 2572847
info@queeres-netzwerk.nrw
www.queeres-netzwerk.nrw

Landeskoordination Trans* NRW
Lindenstraße 20
50674 Köln
0221-29265260
jona.maehler@lako-trans.nrw
https://ngvt.nrw

Landeskoordination Inter*
Lindenstraße 20
50674 Köln
lako-inter@queeres-netzwerk.nrw

Informations- und Dokumentationszentrum
für
Antirassismusarbeit in Nordrhein-Westfalen
c/o IDA-NRW
Volmerswerther Straße 20
40221 Düsseldorf
0211 / 15 92 55-5
info@IDA-NRW.de
www.IDA-NRW.de

LAG Lesben in NRW e.V.
Sonnenstr. 14
40227 Düsseldorf
0211 / 69 10 530
info@lesben-nrw.de
www.lesben-nrw.de

Landeskoordination der Anti-Gewalt-Arbeit
für Lesben, Schwule & Trans* in NRW

Rubensstr. 8-10
50676 Köln
0221 / 27 66 999-55
sefika.guemues@rubicon-koeln.de
www.vielfalt-statt-gewalt.de